Test aus der Schweizer Automobilrevue 38/1992, Audi 100 Avant S4, 2.2l Turbo |
Einführungstext |
Rund ein halbes Jahr nach der Vorstellung des neuen Audi 100 im November 1990 wurde die Sportversion S4 vorerst als Limousine nachgeschoben („AR“ 31/91), und bereits zwei Monate später folgte der Kombi Avant. Als Edelkombi – luxuriös und mit jeder Schikane ausgestattet – mit sehr hohen Fahrleistungen gehört der Avant S4 zu jener Gattung Autos, die dem Hersteller nicht unbedingt hohe Stückzahlen, dafür um so mehr Image bringen sollen. Und für finanzkräftige Personen ist es selbstverständlich ein besonderes Vergnügen, ein Auto zu besitzen, dass gewissermassen den Kombi mit dem Sportwagen vereint. Für Audi als Hersteller sportlicher und qualitativ hochstehender Autos war der Avant S4 sozusagen ein Muss.
War der frühere Avant eigentlich eher eine Schräghecklimousine mit Ladeklappe, entspricht die neue Version mit dem steileren Heck nun viel mehr dem Begriff des Kombi. Trotz dieser Verbesserung hinsichtlich Ladekapazität und universeller Verwendung darf der neue Avant zu den besonders gut gelungenen und eleganten Kombis gezählt werden. Der Avant S4 (79'900 Franken) schliesst eine bestehende Marktlücke, denn ausser dem Mercedes 300 TE 4Matic (82'820 Franken) gibt es keinen Allradkombi in dieser Preisklasse. Allerdings vermag der 300 TE 4Matic dem Audi hinsichtlich Fahrleistungen nicht Paroli zu bieten. Dies kann auch der BMW 525i X Touring (58'200 Franken) nicht, sein Preis liegt allerdings auch um mehr als 20’000 Franken niedriger.
Der S4 gehört zwar zur Familie des Audi 100, wird aber als eigenständige Modellreihe mit Limousine und Kombi Avant behandelt. Aufgrund der geänderten Bereifung ist die Höhe gegenüber dem 100 um 16 mm angestiegen, und die voluminösen Vorderkotflügel liessen die Breite um 28 mm auf 180,5 cm anwachsen. Infolge der serienmässig eingebauten Dachgalerie beträgt die Gesamthöhe des Avant – bei gleicher Länge und Breite – 152.5 cm (+ 80 mm).
Neben dem Modellemblem S4 im Kühlergrill und am Heck, das bewusst diskret und unscheinbar ausgefallen ist, unterscheidet sich die Sportversion äusserlich durch die ins Scheinwerfergehäuse integrierten Nebellampen, die wie die Hauptscheinwerfer in Ellipsoidtechnik ausgeführt sind, durch das durchgehende, rote Leuchtenband am Heck sowie die speziellen Leichtmetallfelgen.
Die ansprechende Linienführung des Avant ist – neben einer ausgeglichenen Aufteilung der optischen Massen – vor allem dem leicht wirkenden Pavillon zuzuschreiben. Durch geschickte Massnahmen – die beiden mittleren Seitenpfosten schwarz, Hauptpartie des vorderen Dachträgers hinter Glas, schmaler Heckpfosten scheint das Dach mehr von Glas als von Stahl getragen zu sein
Geräumig, luftig und hell präsentiert sich das Interieur. Die speziellen, silberfarbenen Satinsitzbezüge kleiden die Sportsitze elegant ein; das Dreispeichenlenkrad ist in Leder eingefasst, ebenso die Manschetten von Schalthebel und Handbremse. Bereits vom S2, dem zweitürigen Sportcoupé auf der Basis des 80ers, her bekannt sind die kreisrunden, weiss unterlegten Anzeigeinstrumente – insgesamt sieben an der Zahl. Der Gepäckraum ist vollständig mit Velours ausgekleidet, und die herausnehmbare Gepäckraumabdeckung ist als Rollo ausgestaltet.
|
Aussergewöhnliche Fahrleistungen |
Der Fünfzylinder Turbo mit 2.2 Litern Hubraum hat sich seit mehreren Jahren in zahlreichen sportlichen Audi-Modellen bewährt. Ständige Weiterentwicklung, wie beispielsweise sequentielle Einspritzung, elektronisch gesteuerte Ladedruckregelung und Umstellung auf unverbleites Superbenzin, brachten den Vierventiler bisher auf eine Leistung von 220 PS. Für den S4 griff man nochmals in die „Trickkiste“, rüstete eine Direktzündung nach, änderte die Steuerzeiten und erzielte dadurch 230 PS. Zudem sorgt ein „Overboost“ bei kurzen Beschleunigungsvorgängen für zusätzliche Durchzugskraft. Dank diesem Overboost stieg das maximale Drehmoment von 309 auf 350 Nm, wobei dieser eindrückliche Wert bereits bei 1950/min zur Verfügung steht.
Den Papierwerten entsprechend hinterlässt denn auch die Beschleunigung des S4 bei jedem Fahrer einen nachhaltigen Eindruck. Nach einer leichten Verzögerung, bis der Lader Druck aufgebaut hat, geht die Post dermassen rasant ab, dass sich der Fahrer beeilen muss, um mit dem Gängeschalten nachzukommen. Beim serienmässig eingebauten 6-Gang-Getriebe sind die Übersetzungsverhältnisse vom kleinsten und grössten Gang gleich wie beim Fünfganggetriebe, die zusätzliche Wahlmöglichkeit dazwischen ergibt eine feinere Abstufung. Seit einigen Wochen ist nun auch das automatische 4-Stufen-Getriebe mit adaptiven Schaltprogrammen „DSP“ („AR“ 16/92) gegen Aufpreis von 2'200 Franken lieferbar.
Unser Testwagen erreichte die Herstellerangaben bei der Beschleunigung von 0 auf 100 km/h mit 7.1 s auf die Zehntelssekunde genau, und den Kilometer aus dem Stillstand legte der Audi in ebenfalls hervorragenden 27.4 s zurück. Beeindruckend sind aber auch Werte wie 5.0 s von 40 auf 120 km/h im 3. Gang.
Wie zu erwarten war, richtet sich der Benzinverbrauch sehr deutlich nach den Ambitionen des Fahrers. Eine schnelle Autobahnfahrt in Deutschland quittierte das 1710 kg schwere Auto mit 16.0 l/100 km, wogegen auf einer ruhigen Überlandfahrt in der Schweiz der Verbrauch auf 10.8 l/100 km sank. Der Testverbrauch von exakt 13 l/100 km ist den Fahrleistungen und dem Gewicht des Autos angemessen.
Der Motor kann seine typischen Turbocharakteristik nicht verleugnen. Im unteren Drehzahlbereich zeigt er, trotz des bereits bei 1950/min anstehenden maximalen Drehmoments, vergleichsweise wenig Temperament, und so richtig zur Sache kommt er erst oberhalb 4000/min. Für den raschen Zwischenspurt (z.B. Einfädeln) ist in der Stadt deshalb der zweite Gang oft zu lang. Das eng gestufte 6-Gang-Getriebe stellt jedenfalls für diesen Motor eine sehr hilfreiche Verbesserung dar. Es gefällt durch eine präzise Schaltung und eine wirksame und trotzdem leichtgängige Synchronisierung.
|
Sportliches Fahrwerk |
Wenn ein Fahrwerk einen derart kräftigen Motor und dazu noch 500 kg Nutzlast „verdauen“ muss, wird ein Schuss sportlicher Straffheit im Federungskomfort wohl unumgänglich. Bei Befahren von beschädigten Strassen (Betonautobahnen) macht sich dies durch spür- und hörbare Schläge bemerkbar, die bei anderen Audi-Modellen besser gedämpft werden. Einen nicht unwesentlichen Anteil an diesen Eigenschaften dürften die superbreiten Reifen (225/50 Zr 16) haben, die zudem für einen recht unruhigen Geradeauslauf sorgen, indem jede Längsrille den Audi deutlich „aus dem Geleise“ wirft. Diese den Fahrkomfort doch deutlich beeinträchtigenden „Unarten“ haben offensichtlich auch diverse Kunden gestört, so dass der S4 neuerdings mit etwas weniger breiten Reifen der Dimension 215/60 ZR 15 ausgeliefert wird. Ein vernünftiger und begrüssenswerter Entscheid. Auf speziellen Kundewunsch sind jedoch nach wie vor 16- oder sogar 17-Zoll-Felgen mit entsprechenden Reifen lieferbar.
Mit Ausnahme des nicht überzeugenden Geradeauslaufs ausschliesslich bei niedrigen Geschwindigkeiten, der auf das Konto der Breitreifen geht, ist an den sehr guten Fahreigenschaften des S4 mit einem permanenten Vierradantrieb kaum etwas auszusetzen. Das Trotz der hohen Vorderachsbelastung (58 %) nur leicht untersteuernde Kurvenverhalten bleibt bis zur Haftgrenze praktisch unverändert und bewahrt den Fahrer vor jeglicher Überraschung. Leichtes Übersteuern kann zwar durch rasches Einlenken bei gleichzeitigem Gaswegnehmen provoziert werden, die weichen und gut feststellbaren Übergänge erlauben dem Fahrer, jederzeit eine entsprechende Korrektur vorzunehmen.
Der Grenzbereich bei Kurvenfahrt liegt sehr hoch. Die Lenkung reagiert rasch und präzis und vermittelt über den angenehm griffigen dicken Lederkranz des Sportlenkrads ein gutes Strassengefühl. Dass zum Teil Schläge deutlich fühlbar bis zum Lenkrad dringen, dürfte zumindest teilweise ebenfalls den überbreiten Reifen zuzuschreiben sein. Lob gebührt auch der Bremsanlage, die durch eine hervorragende Wirkung, leichte Dosierbarkeit und gutes Wärmeverhalten zu gefallen wusste. Audi hat dem S4 aber auch das Feinste im Hause eingebaut, nämlich die Anlage des V8 mit hydraulischem Verstärker, innenumgreifenden Bremszangen an den Vorderrädern und belüfteten Scheiben auch für die Hinterräder. Selbstverständlich gehört auch ABS zum Serienumfang; es lässt sich für spezielle Situationen (Tiefschnee, Kies) ausschalten.
|
Viel Platz und viel Luxus |
Die grosszügigen Platzverhältnisse im Audi Avant rühren nicht zuletzt daher, dass das verlängerte Dach die Kopffreiheit hinten deutlich verbessert. Der Stauraum unter dem serienmässigen Abdeckrollo ist mit 380 l zwar kleiner als bei der Limousine (510 l); er kann jedoch durch Entfernen desselben auf 605 l und durch Umklappen der Rücksitze (asymmetrische Aufteilung) auf insgesamt 1255 l (immer nach VDA-Norm) vergrössert werden. Die vollständig ebene Ladefläche liegt, des Quattro-Antriebes wegen, recht hoch. Unter dem wegnehmbaren Boden gibt es im hinteren Teil zusätzliche Ablagen, in denen kleinere Gegenstände bequem verstaut und vor neugierigen Blicken versteckt werden können.
Die stufenlos regulierbare Lehenneigung, eine nach hinten grosszügig dimensionierte Längsverstellung, eine etwas schwergängige Höhenverstellung und die einstellbare Kreuzstütze ermöglichen eine bequeme Fahrerposition auch ohne Lenkradverstellung. Die kräftig konturierten Sportsitze sorgen für sicheren Halt selbst bei hoher Querbeschleunigung. Deutlich weniger Seitenführung wird den Fondpassagieren geboten, die aber immerhin über grosszügigen Beinraum und viel Ellbogenfreiheit verfügen.
|
Komplette Ausrüstung |
Die weiss unterlegten Rundinstrumente sind am Tage sehr gut ablesbar; die rotschummrige Beleuchtung verschlechtert den Kontrast in der Nacht allerdings sehr stark. Die Ausrüstung des Audi Avant S4 ist recht komplett. Zum Serienumfang gehören eine automatische Klimaanlage, vier elektrische Scheibenheber, elektrisch verstell- und heizbare Aussenspiegel, ebenso elektrisch beheizte Türschlösser und Scheibenwaschdüsen, ein Auto-Check-System mit Überwachungsfunktionen sowie ein Bordcomputer.
Zur Verbesserung der passivern Sicherheit rüstete Audi den S4 mit dem patentierten Procon-ten-System aus, das bei einem Zusammenstoss die Gurten strafft und das Lenkrad aus dem Aufprallbereich des Fahrers zieht – sofern der Motor ebenfalls „getroffen“ wird. Spezielle Türverstärkungen verbessern den Schutz bei einer Seitenkollision. Gegen Aufpreis von 2'600 Franken ist fahrerseitig ein Airbag lieferbar, und mit 4'100 Franken sind beide vorn sitzenden Personen mit dem Luftsack geschützt. Aktive Sicherheit bieten das nicht zuletzt dank dem Allradantrieb ausgewogene Fahrverhalten und die kräftigen Bremsen mit ABS (nach Audi-Tradition ausschaltbar). Der Werterhaltung dient die vollverzinkte Karosserie mit zehnjähriger Rostschutzgarantie und einer 3-Jahres-Lackgarantie.
|
Fazit |
Der Audi Avant S4 ist eines jener seltenen Autos, die in interessanter Form zwei scheinbar unvereinbare Eigenschaften kombinieren. Hier die Sportlichkeit als reine Fahrfreude und Repräsentation, da die Zweckmässigkeit des ladefreundlichen Kombis. Die dabei zwangsläufig auftretenden Probleme haben die Audi-Ingenieure nach unseren Dafürhalten mit geschicketen Kompromissen gut in den Griff bekommen. Merkmale des Audi sind die überall sicht- und fühlbare hohe Fertigungsqualität und die zahlreichen durchdachten Konstruktionsdetails. Dank des kräftigen Motors und des Allradantriebs eignet sich der Avant S4 zudem hervorragend als Zugfahrzeug, beispielsweise für exklusive Boote oder zum Transport von Reitpferden. Der nach der kürzlich erfolgten Erhöhung auf 79'900 Franken gestiegene Preis sichert dem Avant S4 eine gewisse Exklusivität und erhöht auch den Repräsentationswert dieses Auto.
|
Preis |
79'900.-- sFr.
|
Messergebnisse des Tests: |
Bedingungen |
Belag: Beton / Belastung: 2 Personen + 10 kg / Aussentemperatur: 17 Grad / rel. Luftfeuchtigkeit: 89 % / Luftdruck: 985 mbar /Km-Stand: 16'200
Messungen mit elektronischen Präzisionsinstrumenten
|
Fahrleistungen |
Höchstgeschwindigkeit: 235 km/h Mittel aus beiden Richtungen
Beschleunigung aus dem Stand: 0-40 km/h s 1.8 s; 0-60 km/h 3.4 s; 0-80 km/h 5.1 s; 0-100 km/h 7.1 s; 0-120 km/h 9.8 s; 0-140 km/h 13.9 s; 0-160 km/h 17.7 s; 0-180 km/h 22.7 s; 0-200 km/h 34.0 s
1 km stehender Start: 27.4 s
Durchzug/Elastizität während der Fahrt:
im III. Gang: 40-60 km/h 2.7 s; 40-80 km/h: 4.8 s; 40-100 km/h: 7.0 s; 40-120 km/h: 9.5 s; 40-140 km/h:12.4 s
im IV. Gang: 40-60 km/h 4.1 s; 40-80 km/h: 6.8 s; 40-100 km/h: 9.5 s; 40-120 km/h: 12.6 s; 40-140 km/h: 15.7 s; 40-160 km/h 19.6 s; 40-180 km/h: 24.5 s
im V. Gang: 40-60 km/h 5.6 s; 40-80 km/h: 9.7 s; 40-100 km/h: 13.1 s; 40-120 km/h: 16.9 s; 40-140 km/h: 21.1 s; 40-160 km/h 25.8 s; 40-180 km/h: 31.8 s; 40-200 km/h: 41.2 s
m VI. Gang: 40-60 km/h 7.6 s; 40-80 km/h: 13.5 s; 40-100 km/h: 17.8 s; 40-120 km/h: 22.3 s; 40-140 km/h: 27.5 s; 40-160 km/h 34.0 s; 40-180 km/h: 42.0 s; 40-200 km/h: 54.7 s
|
Zählereichung |
abgelesene km/h = fett, effektive km/h = blau,
40 = 37; 60 = 54; 80 = 72; 100 = 92; 120 = 110; 140 = 128; 160 = 148; 180 = 166; 200 = 184; 220 = 202; 240 = 221;
1 km nach Zähler = 1015 m
|
Verbrauch |
Gesamtverbrauch im Test 13.0 L/100 km
Gemessene Durchschnittswerte im Test 10.8 bis 16.0 L/100 km
1 Kilometer mit stehendem Start (Vollbescheunigung) 48.0 L/100 km
Ölverbrauch 0.2 L/1000 km
Treibstoff Bleifrei 98 ROZ
|
Gewichte |
Leergewicht (DIN): 1'710 kg Gewichtsverteilung v/h: 58/42% Leistungsgewicht (DIN): 7.4 kg/PS resp. 10.1 kg/kW
|
Störungen im Test |
keine
|