Bericht des Tests über den Audi Avant S2, Schweizer Automobilrevue 48/93

 

Einführungstext

Audi ist eine Marke, die sich gerne mit Extremen zu profilieren pflegt. Da gibt es auf der einen Seite die in Ihrer Klasse konkurrenzlos sparsamen Direkteinspritz-Dieselmodelle, und gewissermassen als Gegenstück wird das andere Ende der Modellpalette durch Hochleistungsfahrzeuge aller Kaliber markiert. In dieser zweiten Gruppe taumeln sich einige veritable Wölfe im Schafspelz: Die magischen Kürzel für "heisse" Limousinen, Kombis und Coupés heissen S2 (Basis: Audi 80) bzw. S4 (Audi 100), und als besonderer Leckerbissen wird in einigen Monaten der 80-er Reihe mit dem in Zusammenarbeit mit Porsche entstehenden 300-PS-Kombi RS2 die Krone aufgesetzt. Unser Test gilt dem äusserlich unscheinbaren Audi 80 Avant S2, dessen 2.2-Liter-Fünfzylinder-Turbomotor 230 PS leistet und der serienmässig mit Sechsganggetriebe und Allradantrieb aufwartet.

 

Die Idee, die hinter dem Avant S2 steckt, ist bestechend: Angesprochen werden vorab diejenigen, die auf das Temperament und die Fahreigenschaften eines Sportwagens nicht verzichten wollen, es aber aus mancherlei Gründen vorziehen, diese Eigenschaften in einem unverbindlichen, den Nutzcharakter betonenden Kombi vorzufinden. Tatsächlich wirkt der S2 Avant (seit kurzem ist er auch als Limousine als S2 lieferbar) alles andere als provokativ. Die kleinen S2-Embleme an Front und Heck werden (sofern sie vom Besitzer nicht entfernt werden, was offenbar häufig vorkommen soll) nur von Insidern als Identifikationsmerkmal erkannt. Die auf 16-Zoll-Leichtmetallfelgen im Stern-Design aufgezogenen Hochleistungsreifen sind mit ihrer Dimension von 205/55-16 ebenfalls nicht zu auffällig, und gleiches gilt auch für die dezenten Spoilerlippen vorn und hinten.

 

Der von Haus aus sehr reichhaltig ausgestattete Audi 80 Avant S2 steht mit 77'950 Franken in der Preisliste (die Limousine kostet knapp 4000 Franken weniger). Vierradgetriebene Kombis dieser Leistungsklasse sind rar. Am nächsten kommt ihm vom Charakter her wohl der Subaru Legancy Turbo Super-Station 4WD; er leistet zwar "nur" 200 PS, kostet aber mit 43'150 Franken auch deutlich weniger. Ebenfalls zur Über-200-PS-Riege gehören eine Reihe von hochsportlichen 4x4-Limousinen, aber auch sie sind deutlich preisgünstiger angeschrieben: Lancia Delta HF Integrale (210 PS, Fr. 56'000.--), Ford Escord RS Cosworth (220 PS, Fr. 53'000.--), Opel Vectra 4 x 4 Turbo (204 PS, Fr. 44'700.--), Peugeot 405 Turbo 16 (200 PS, Fr. 48'900.--).

 

Kraftpaket

Was sich unter dem unverdächtigen Blechkleid des S2 verbirgt, ist Technik pur. Der mittels KKK-Turbo aufgeladene Vierventil-Fünfzylindermotor, der in den bisherigen S2-Versionen noch auf 220 PS gekommen war, leistet jetzt dank Modifikationen an Motorsteuerung 230 PS. Noch eindrücklicher ist allerdings der Drehmomentgewinn, stehen doch 350 statt 309 Newtonmeter an, und zwar bei unverändert 1950/min. Zwischen 1800 und 5100/min verläuft die anfänglich steil ansteigende Drehmomentkurve praktisch horizontal über 300 NM. Mittels eines durch volles Niedertreten des Gaspedals aktivierbaren "Overboost"-Effekts können ausserdem für einige Sekunden 380 NM (zwischen 2100 und 4000/min) abgerufen werden.

 

Gekoppelt ist das Fünfzylinder-Kraftpaket mit einem enggestuften Sechsgang-Schaltgetriebe. Bei Audis dieser Leistungsklasse schon selbstverständlich ist der permanente Quattro-Vierradantrieb mit zentralem, selbsthemmendem Torsen-Differential und (unterhalb von 25 km/h) mechanisch sperrbarem hinterem Ausgleichsgetriebe.

 

Was das 230-PS-Aggregat mit dem immerhin 1610 kg schweren Sport-Kombi aufführt, wenn ihm mit Vehemenz die Sporen gegeben werden, ist für unvorbereitete Mitfahrer schlicht atemberaubend. Aus dem Stand katapultiert sich der Avant S2 in nur 6 Sekunden auf eine Geschwindigkeit von 100 km/h (Werksangabe: 6.1s), und nach nur 15.4 s sind 160 km/h erreicht. Damit gibt er dem als äusserst temperamentvoll bekannten Excord Cosworth (6.1 bzw. 15.6 s) ganz knapp das Nachsehen. Ermöglicht wird dieses für einen "Familienwagen" enorme Spurtvermögen  nicht zuletzt dank des Ideal abgestuften Sechsganggetriebe (dessen Schaltung allerdings im kalten Zustand etwas knochig wirkt).

 

Im Mittleren Drehzahlbereich überzeugt der 2.2l-Fünfzylinder ebenfalls, wenn auch das Vorhandensein eines Turboladers und damit ein leicht verzögertes Ansprechen auf das Gas nicht ganz kaschiert werden kann. Sofern man nicht in einem hohen Gang mit niedrigem Tempo dahinbummelt, beantwortet der S2 jedes Niederdrücken des Gaspedals zügig mit anfänglich "normalem", aber zunehmend unwiderstehlich werdendem Vorwärtsdrang. Nur aus dem "Drehzahlkeller" heraus (um die 1000/min herum) fehlt es dem Turbomotor merklich an Spontaneität und an Durchzugskraft; für problemlose Wegfahrmanöver an Steigerungen etwa erweist sich deshalb ein Schuss Vorgas als unabdingbar, eine Tatsache, die nicht sonderlich gut zum sonst souveränen Auftritt des Triebwerks passt.

 

In der Praxis kann zwar die ermittelte Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h (Werksangabe: 242 km/h) wohl kaum je ausgefahren werden, aber sie ist doch, zumal sie im als echte Fahrstufe ausgelegten sechsten Gang erreicht wird, ein Mass für die erheblichen Leistungsreserven, die der schnelle Kombi aus Ingolstadt besitzt.

 

Bis auf einige leichte "Holperer" im Leerlauf dreht der Fünfzylindermotor recht rund und produziert - nicht zuletzt dank der dämpfenden Wirkung des Turbos - im allgemeinen eine angenehm kultivierte, zurückhaltende Geräuschkulisse. Oberhalb von 5500/min wird allerdings der Motorlauf als zwangsläufige Folge der "unrunden" Zylinderzahl spürbar rauer und kerniger. Der Motor des Testwagens pflegte eher unwillig zu starten.

 

Herausragende Fahrleistungen, wie sie der S2 bietet, hatten noch vor wenigen Jahren Verbrauche um 18 bis 20 l/100 km zur Folge. Der Testverbrauch von 11.6 l/100 km ist ein Zeichen für die markanten Fortschritte, die die Automobilindustrie ganz allgemein in letzter Zeit erzielt hat. Mit dosiertem Gasfuss waren mit dem S2 sogar Verbrauche unter 10 l/100 km zu realisieren, während selbst scharfe Fahrweise den Durst nicht über 16 l/100 km ansteigen liess. In Verbindung mit dem Tankinhalt von 64 Litern ergibt sich eine Reichweite von im Mittel über 550 km.

 

Ausgewogenes Fahrverhalten

Was keineswegs selbstverständlich ist, aber gerade bei einem so potenten Auto gerne registriert wird: Das Fahrwerk des Audi Avant S2 steht im Einklang mit den überdurchschnittlichen Fahrleistungen. Obwohl die Breitreifen eine gewisse Tendenz zeigen, Längsrillen nachzulaufen, ist die Richtungsstabilität auch bei Höchsttempo ausgezeichnet. In Kurven verhält sich der kopflastige Wagen meistens untersteuernd, neigt also bei Geschwindigkeitsüberschuss dazu, mit den Vorderrädern gegen die Kurvenaussenseite zu schieben. Das bedeutet, dass der S2 in Partien mit langgezogenen Biegungen auch bei hohem Tempo leicht dirigiert werden kann. Um ihn auf dem gewünschten Kurs zu halten, genügt es in der Regel, das Lenkrad etwas stärker einzuschlagen. Ist das Untersteuern massiver, was etwa in engen Kurven und auf nassem Belag vorkommen kann, hilft das Loslassen des Gaspedals; der Bug dreht dann wieder folgsam in die Kurve hinein, ein Umschlagen ins Übersteuern (das Gegenlenken nötig macht) tritt nur in Extremfällen auf.

 

Bestnote holt sich der vierradgetriebene, mit raffinierten Differentialsperren operierende S2 punkto Traktionsvermögen; selbst bei vollem Beschleunigen auf nasser Fahrbahn kommt es nicht zu störendem Durchdrehen der Räder.

 

Mit zum guten Fahrgefühl trägt der neue, im Vergleich zum ersten S2 direkter ausgelegter Servolenkung bei. mit dem kleinen, handlichen Lederlenkrad lässt sich der Sportkombi einerseits bei jedem Tempo exakt platzieren, anderseits wird auch bei langsamer Fahrt genau das gewünschte Mass an Bodenkontakt vermittelt, und die benötigten Lenkkräfte bleiben sogar bei Parkiermanövern im Rahmen. Störende Antriebseinflüsse waren in der Lenkung auch bei hohen Geschwindigkeiten auf unebener Strasse kaum auszumachen.

 

Die Bremsen verzögern den Wagen jederzeit wirksam und spurtreu, und sie steckten auch harte Beanspruchungen  wie schnelle Passabfahrten problemlos weg.

 

Bei der Abstimmung von Federung und Dämpfung hatten sich die Audi-Techniker natürlich am praktikablen Geschwindigkeitspotential zu orientieren:. Mit anderen Worten: Der Fahrkomfort ähnelt eher demjenigen eines reinrassigen Sportwagens als demjenigen einer Familienlimousine, und die Kléber-Reifen rollten bei Langsamfahrt etwas stuckrig ab. Dass man punkto Härte an die Grenze gehen musste, war unter anderem am gelegentlich recht ungenierten Poltern der Vorderachse (das ab und zu sogar den im Wagen installierten CD-Spieler ins Stottern brachte) zu registrieren. Passionierte Schnellfahrer werden aber angesichts des jederzeit guten Fahrbahnkontaktes der Räder und der geringen Kurvenneigung der Karosserie grosszügig über die sehr sportliche Fahrwerksauslegung hinwegsehen.

 

Gut ausgestattet

Die Ausstattung stellt eine gekonnte Mischung aus Komfort und Sportlichkeit dar. Zu ersterem gehören unter anderem die thermostatisch geregelte, sehr leistungsfähige Klimaanlage, ferner die elektrischen Fensterheber, die Sitzbezüge aus Jacquard-Satin, die Zentralverriegelung, die Dachreling, die getrennt abklappbaren Rücksitze und die Kofferraumabdeckung. Für sportliche Atmosphäre sorgen das Lederlenkrad, die stark konturierten, straff gepolsterten Sportsitze und die weiss-grauen Zifferblätter der Instrumente. Die drei in der Mittelkonsole untergebrachten Zusatzinstrumente (Öldruck- und Öltemperaturanzeige sowie Voltmeter) sind zwar nützlich, befinden sich aber zu weit ausserhalb des direkten Blickfelds, um auch bei schneller Fahrt problemlos überwacht zu werden. Ein Fehlgriff taten die Audi-Stylisten unseres Erachtens bei den verschiedenen Ziereinlagen an Armaturenbrett und Türen, die an den High-Tech-Werkstoff Carbon erinnern sollen. Mit dem wirklichen Aussehen von Kohlefasermaterial, wie es in der Formel 1 verwendet wird, haben die hochglänzenden Plastikelemente jedenfalls kaum etwas zu tun; andere Hersteller hatten da offensichtlich eine glücklichere Hand. Wer sich am Carbon stört, kann sich das Interieur ersatzweise mit Holz verzieren lassen, ein Aufwand, der allerdings auf über 300 Franken zu stehen kommt.

 

Einmal mehr beeindruckend ist die für Audis aus heutiger Produktion typische Fertigungsqualität. Alles im und am Auto wirkt ausgesprochen solid, nichts klappert, Windgeräusche glänzen durch Abwesenheit.

 

Fazit

Der Sport-Kombi S2 aus Ingolstadt ist sicherlich kein billiges Auto, aber eines, das es im wahrsten Sinne des Wortes in sich hat. Exzellente Fahrleistungen und sichere Fahreigenschaften sind gepaart mit einer diskreten, qualitativ hochstehenden Kombikarosserie, die nichts über die tatsächlichen Eigenschaften des Wagens verrät. Motto: Audi Avant S2 als Langzeit-Sportwagen im Alltagskleid. 

 

Preis

77'950.-- sFr.

 

 

Messergebnisse des Tests:

 

Bedingungen

Belag: Beton / Belastung: 2 Personen + 10 kg / Aussentemperatur: 17 Grad / rel. Luftfeuchtigkeit: 91 % / Luftdruck: 980 mbar / Km-Stand: 8'300

 

Messungen mit elektronischen Präzisionsinstrumenten

 

Fahrleistungen

Höchstgeschwindigkeit:

240 km/h (Mittel aus beiden Richtungen)

 

Beschleunigung aus dem Stand:

0-40 km/h s 1.6 s; 0-60 km/h 2.8 s; 0-80 km/h 4.2 s; 0-100 km/h 6.0 s; 0-120 km/h 8.6 s; 0-140 km/h 11.4 s; 0-160 km/h 15.4 s; 0-180 km/h 20.4 s; 0-200 km/h 28.0 s

 

Durchzug/Elastizität während der Fahrt:

 

im IV. Gang:

40-60 km/h 4.2 s; 40-80 km/h: 6.8 s; 40-100 km/h: 9.2 s; 40-120 km/h: 11.7 s; 40-140 km/h: 14.6 s; 40-160 km/h 17.8 s; 40-180 km/h: 22.7 s

 

im V. Gang:

40-60 km/h 5.6 s; 40-80 km/h: 9.5 s; 40-100 km/h: 12.6 s; 40-120 km/h: 15.9 s; 40-140 km/h: 19.7 s; 40-160 km/h 23.2 s; 40-180 km/h: 18.8 s; 40-200 km/h: 35.9 s; 40-220 km/h 48.0 s

 

im VI. Gang:

40-60 km/h 7.7 s; 40-80 km/h: 13.9 s; 40-100 km/h: 18.1 s; 40-120 km/h: 22.3 s; 40-140 km/h: 26.8 s; 40-160 km/h 31.4 s; 40-180 km/h: 37.5 s; 40-200 km/h: 42.9 s; 40-220 km/h 54.9 s

 

Zählereichung

abgelesene km/h = fett, effektive km/h = blau, 

 

60 = 55; 80 = 74; 100 = 94; 120 = 113; 160 = 151; 200 = 187

 

1 km nach Zähler = 1020 m

 

Verbrauch

Gesamtverbrauch im Test

11.6 L/100 km

 

Gemessene Durchschnittswerte im Test

9.5 bis 15.3L/100 km

 

Ölverbrauch

nicht messbar

 

Treibstoff

Super Plus Bleifrei 98 ROZ

 

Gewichte

Leergewicht (DIN): 1610 kg

Gewichtsverteilung v/h: 57/43%

Leistungsgewicht (DIN): 7.0 kg/PS resp. 9.5 kg/kW 

 

zurück